Ein bedeutender Vertreter mittelalterlicher Dichtkunst war
Gottfried von Straßburg (+ um 1215). Er setzte mit seinem großen Epos Tristan
einen Meilenstein, wo er den Lebensroman eines ritterlichen Helden darstellt. Als
Grundlage dient eine fest in sich abgeschlossene Weltanschauung, die den Genuss
des Lebens für die eigentliche Aufgabe des Menschen hält. Gottfried beruft sich
auf den konventionellen ritterlichen Sittenkodex, nachdem alles erlaubt sei,
wenn nur „die Schande“ vermieden werde. Das schildert der Dichter nicht etwa nur
objektiv, sondern er ergreift dafür selber leidenschaftlich Partei. Ein
reizendes, in den verlockendsten Farben mit höchster Kunst geschildertes
Liebesspiel, das die Allgewalt der Minne erweisen will und selbst die in sich
tiefste Tragik bergenden Konflikte mit heiterer Naivität und unbefangen löst.
Die Sage von Tristan und Isolde hatte vor Gottfried schon Eilhart von Oberge um
1190 in seinem Tristrant behandelt.
Durch eine schlichte Nacherzählung des Inhalts tut man wohl
einem so großen Dichter wie Gottfried unrecht. Seine Kunst hat den Stoff
veredelt. Die Anmut und die glänzende Pracht der Sprache, die dem Stoffe
kunstvoll angepasste Weichheit und Lieblichkeit des Ausdrucks, die reizenden
und heiteren Bilder, die Unbefangenheit und Natürlichkeit, mit der selbst
niedrige Dinge berichtet werden, die tiefe psychologische Motivierung der
Handlung aus den Charakteren, die meisterhafte Darstellung der Allgewalt der
Liebe, die den Menschen erhebt und den Menschen zermalmt. Alles das nimmt unser
Denken, Fühlen und Empfinden völlig gefangen, sodass wir ganz vergessen, auf
welches bedenkliche Gebiet der Dichter sich begeben hat. Wolfram von Eschenbach
ist größer als Mensch und als Dichter, Meister Gottfried ist größer als
Künstler.
Als er starb, hinterließ er der Nachwelt ein großartiges
Werk. Unter seinen zahlreichen Erben findet sich Rudolf von Ems (+ 1253) mit
seiner Weltchronik, einer unvollendet gebliebenen Darstellung der Geschichte
des alten Testaments, und der Erzählung Barlaamund Josaphat, in welcher der
junge indische Königssohn Josaphat durch den Weisen Barlaam zum Christentum
belehrt wird und dann den Vater bekehrt. Dazu kommt der bedeutendere, durch
Anmut der Form sich auszeichnende bürgerliche Dichter Konrad von Würzburg (+
1287) mit seinem 40000 Verse umfassenden und dabei noch unvollendeten
Trojanerkrieg, in dem das Antike ganz in das Mittelalterliche übertragen ist,
sowie weiteren Liedern von Liebe, Legenden und Freundschaft.
An der Stelle, wo Gottfried in seinem Epos Tristan den Tod
des Minnesängers Reinmars des Alten beklagt, fügt er hinzu:
Wer leitet nu die lieben schar?
wer wiset diz gesinde?
ich waene, ich si wol vinde,
diu die baniere füeren sol:
ir meisterinne kan ez wol,
diu von der Vogelweide.
Nach Quelle: Die deutsche Dichtung. Grundriß der deutschen Literaturgeschichte von Karl Heinemann, Alfred Kröner Verlag Leipzig 1911.
Nach Quelle: Die deutsche Dichtung. Grundriß der deutschen Literaturgeschichte von Karl Heinemann, Alfred Kröner Verlag Leipzig 1911.